Vorwort zum Band 1

Die Mensch-Computer-Interaktion ist ein faszinierendes und vielseitiges Arbeitsgebiet. Seit der ersten Auflage 1999 ist eine Vielzahl neuer Trends zu beobachten, die eine Neuauflage dringend erforderlich machen. Die erste Auflage war stark durch Szenarien geprägt, in denen interaktive Systeme für Experten bei ihrer Arbeit an stationären PCs entwickelt wurden. Usability Engineering – eine an das Software Engineering angelehnte Vorgehensweise zur Entwicklung von leicht erlernbaren und vor allem effizient zu benutzenden Systemen – stand dabei im Vordergrund.

Heute ist dagegen der mobile Einsatz von Computern, Handhelds und der Einsatz von PCs in der Freizeit von ähnlich großer Bedeutung. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Benutzer und Nutzungskontexte: Autofahrer nutzen ein Navigationsgerät und dürfen dabei nicht von der Steuerung des Autos abgelenkt werden, e-Learning Systeme werden von Menschen aller Altersklassen genutzt, um den Anforderungen des lebenslangen Lernens gewachsen zu sein.

Die Interaktionsformen sind vielfältiger geworden. Die herkömmliche Maus- und Tastatureingabe wird häufig durch Touchscreenbedienung oder Stifteingabe ergänzt oder gar ersetzt, vor allem bei der Nutzung mobiler Geräte. Im Spielebereich sind noch wesentlich mehr Interaktionsformen entwickelt, erprobt und etabliert worden. Einige dieser Interaktionsformen, die für den Unterhaltungsbereich konzipiert wurden, werden mittlerweile auch in anderen „seriösen“ Anwendungen genutzt. Als Beispiel sei die bewegungssensitive Steuerung durch die Wii-Fernbedienung von NINTENDO genannt, die sogar schon in Operationssälen erprobt wird, um mittels entsprechender Gesten Software zu steuern.

Webbasierte Systeme spielen eine wachsende Rolle: die Kommunikation in Firmen wird durch Intranets unterstützt, wobei nicht nur der Wissens- und Erfahrungsaustausch unterstützt wird, sondern idealerweise auch das Zusammengehörigkeitsgefühl z.B. durch Darstellung gemeinsamer Aktivitäten. Der Austausch von Fotos, Videos und Musik, das Kommentieren und gemeinsame Verbinden der Inhalte sind Beispiele für diese neuen sozialen Nutzungskontexte. Das Internet wird genutzt, um Ferienwohnungen zu buchen, um einzukaufen oder bei eBay etwas zu ersteigern. Als herausragendes Beispiel sei die Wikipedia genannt, bei der kollektiv ein umfassendes Lexikon erstellt wurde und das weiter entwickelt wird. Bei der Konzeption derartiger Systeme sind neben Kenntnissen in der Mensch-Computer-Interaktion auch soziologische und psychologische Kenntnisse entscheidend, z.B. um angemessene Möglichkeiten zur Moderation und Konfliktsteuerung bereitzustellen.

Die klassischen Usability-Faktoren haben dabei nicht an Bedeutung verloren; aber sie reichen zur Bewertung nicht mehr aus. Eine Webpräsentation eines Sportvereins dient auch dazu, neue Mitglieder anzuziehen, ebenso wie die Webpräsentation einer Universität auf Abiturienten einladend wirken soll. Das visuelle Design, die Professionalität des Webauftritts, aber auch die Stimmungen, die dieses Design vermittelt, z.B. in Bezug auf das Studentenleben an einem Universitätsstandort, sind weitere wichtige Faktoren. E-Learning adressiert nicht den in der Softwareergonomie vorherrschenden „Experten“, sondern einen Lernenden, der nicht nur die Benutzung des e-Learning-Systems, sondern auch den Anwendungsbereich kennen lernen muss. Dabei spielt die Motivation des Benutzers für die Akzeptanz eine ganz entscheidende Rolle. Wie kann der Benutzer an den Anwendungsbereich herangeführt werden, wie kann er durch passendes Feedback motiviert werden, wie können Einsichten und Haltungen vermittelt werden?

Insbesondere bei webbasierten e-Commerce-Lösungen oder Online-Auktionen ist die Frage, ob der Benutzer zu einer Website und der durch sie repräsentierten Firma Vertrauen aufbaut. Relevante Fragen sind dann: Wie sicher ist die Bezahlung? Was passiert mit meinen Daten? Das Bewusstsein für die Heterogenität von Benutzern, unter anderem von Informationsangeboten im WWW, ist gewachsen. Es wird angestrebt und mittlerweile auch gesetzlich vorgeschrieben, dass auch Benutzer, deren physische und kognitive Möglichkeiten eingeschränkt sind, interaktive Systeme nutzen können. Dies ist auch dringend erforderlich, da immer stärker Maschinen, z.B. Fahrscheinautomaten auf Kleinstadtbahnhöfen, die menschliche Bedienung ersetzen. Barrierefreiheit, lange Zeit vor allem ein Schlagwort, unter dem die behindertengerechte Konzeption von Gebäuden diskutiert wurde, betrifft in wachsendem Maße die Entwicklung interaktiver Systeme.

Unter dem Begriff „User Experience“ wird eine umfassendere Sicht auf interaktive Systeme charakterisiert. Im Deutschen wird dieser Begriff teilweise als Nutzungserlebnis bezeichnet. Eine zielgerichtete Entwicklung, die eine angenehme „User Experience“ ermöglichen soll, beinhaltet auch ästhetische Aspekte, wie ein modernes visuelles Design, eine Interaktion, die dem Benutzer Freude bereitet, ihn unter Umständen auch angemessen herausfordert.

Diese Entwicklung ist keinesfalls auf den akademischen Bereich begrenzt. Große Firmen im In- und Ausland suchen User Experience Designer oder bauen ganze User Experience-Abteilungen auf. Noch stärker als bisher ist die Entwicklung interaktiver Systeme als interdisziplinäre Aufgabe anzusehen. Auf Seiten der Auftraggeber sind häufig verschiedene Interessen und Positionen zu berücksichtigen, z.B. die des Managements und die der „betroffenen“ Mitarbeiter. Während für das Management Zeit- und Kosteneinsparungen, also „harte“ Usability-Faktoren im Vordergrund stehen, haben Mitarbeiter – also die Nutzer dieser Systeme – unterschiedliche, eventuell sogar entgegengesetzte Interessen.

Das Team, das interaktive Systeme konzipiert, muss diese Interessen kennen, eruieren und nicht selten zum Ausgleich dieser Interessen beitragen. Die Analyse von Anforderungen erfordert andere Kompetenzen als das Interaktions- und Navigationsdesign für einen umfassenden Webauftritt. Wieder andere Kompetenzen sind nötig, um mehrere Varianten einer Software systematisch in Bezug auf Effizienz zu vergleichen bzw. um diese Varianten schließlich kompetent umzusetzen. Insofern haben sich verschiedene Berufsbilder herausgebildet, die unter dem Überbegriff „Usability Professionals“ zusammengefasst werden. Die „Usability Professionals“ sind national und international hervorragend organisiert und diskutieren intensiv, welche Methoden sich bewährt haben, wie sie eingesetzt und kombiniert werden, um eine hohe „Usability“ und eine angenehme „User Experience“ zu ermöglichen. Durch ihre Beiträge verhelfen sie nicht nur den wissenschaftlichen Ergebnissen in der Praxis zum Durchbruch, sondern bereichern die wissenschaftliche Diskussion um neue Impulse und Erkenntnisse.

Um diesen neuen Entwicklungen gerecht zu werden, ist das Buch nicht nur grundlegend überarbeitet und aktualisiert, sondern auch wesentlich erweitert worden, so dass es in der Neuauflage zweibändig erscheint. Diese Erweiterung ist von einem Einzelautor nicht zu bewältigen. Durch die gemeinsame Autorenschaft ist es möglich, eine breite Sicht auf die Mensch-Computer-Interaktion zu vermitteln. Dieses Buch richtet sich an Studenten und Dozenten. Es sollte sowohl in der Hochschulausbildung als auch für weiterbildende Kurse verwendbar sein. Die Konzeption des Buches trägt dem aktuellen Standard der Ausbildung in diesem Bereich Rechnung [Hamborg et al., 2009]. Insbesondere behandelt es die dort empfohlenen Grundlagen in den Bereichen der Softwareergonomie und Normen, Ein- und Ausgabegeräte und Interaktionstechniken sowie den benutzerzentrierten Entwicklungsprozess.

Es ist ebenso für Usability Professionals gedacht und stützt sich daher auch auf Beiträge der Usability Professionals, z.B. von der jährlichen nationalen Tagung. Ähnlich wie in der ersten Auflage soll eine Brücke zwischen den Grundlagen und der aktuellen Forschung geschlagen werden. Diskussionen aktueller Forschung dienen vor allem dazu, zu verstehen, mit welchen Methoden in der Mensch-Computer-Interaktion neue Ideen und Konzepte erprobt und verfeinert werden. Viele Verweise auf die aktuelle Forschungsliteratur an den Kapitelenden können dazu genutzt werden, sich ausgehend vom jeweiligen Buchkapitel zu vertiefen.

Wir haben uns bemüht, die Fülle des Stoffs durch eine klare didaktische Gestaltung beherrschbar zu machen. Die Kapiteleinleitungen und -zusammenfassungen erwähnen die wichtigsten Theorien, Modelle und Richtlinien, die vermittelt werden. Beispiele sind gesondert gekennzeichnet und können beim ersten schnellen Lesen übersprungen werden ebenso wie Bereiche mit speziellen Informationen für Fortgeschrittene.